Zusammenarbeit statt Egoismus
Tagesspiegel Gastbeitrag 24.09.2023Berlin muss jetzt auf Forschung und neue Technologien setzen
Eine neue Generation von Unternehmen wächst heran, die auf komplexe Geschäftsmodelle aus der Forschung setzt. Die Hauptstadt darf den Anschluss nicht verpassen.
Berlin ist nach wie vor die Start-up-Hauptstadt Deutschlands. Dieser Erfolg basiert auf einer beeindruckenden Anzahl von Unternehmen, die in den 2010er Jahren innovative Produkte und Dienstleistungen für Endkonsumenten entwickelt haben. Einige haben sich mit ihren Geschäftsmodellen zu bedeutenden Playern ihrer jeweiligen Branchen entwickelt, zum Beispiel Zalando oder HelloFresh.
In den aktuellen 2020er Jahren verschiebt sich jedoch der Fokus: Weg vom Endkundengeschäft, hin zu den Geschäftskunden. Eine neue Generation von Start-ups entsteht, die grundlegend anders funktioniert. Die neuen Unternehmerinnen und Unternehmer setzen komplexe Technologien wie Künstliche Intelligenz, Biotechnologie und Quanten-Computing ein. Sie adressieren Märkte, die komplex und schwer zugänglich sind.
Im Gegensatz zu früheren Geschäftsmodellen, die auf Onlinehandel oder Apps basierten, kommt es heute besonders auf den Einsatz von neuen Technologien an, die noch in frühen Phasen der Entwicklung sind. Diese Technologien entstehen meist aus akademischer Forschung, Promotionsarbeiten oder Forschungsprojekten und werden oft als „Deep Tech“ bezeichnet. Berlin möchte diesen Deep-Tech-Start-ups ein Zuhause bieten und sich zu einem relevanten Zentrum für die Szene entwickeln.
Wie kann das gelingen? Der Schlüssel dazu liegt in der Schaffung eines Netzwerks, das Institutionen, Fachrichtungen und Persönlichkeiten miteinander verbindet. Diese Vernetzung ist notwendig, da Deep-Tech-Start-ups sich meist auf globale und vielschichtige Probleme konzentrieren, die nicht von einer einzigen Fachrichtung gelöst werden können. Kooperationen über Clustergrenzen hinweg innerhalb eines vernetzten Ökosystems sind entscheidend für den Erfolg.
Zu viel Konkurrenz in Berlin
Allerdings stellt diese übergreifende Zusammenarbeit eine große Herausforderung für Berlin dar. Es fehlt noch an Koordination und Zusammenarbeit. Jede Institution verfolgt momentan mehr oder weniger ihre eigene Agenda. Das wird besonders deutlich, wenn man sieht, wie viele Events zu ähnlichen Themen teilweise zur selben Zeit um dieselben Teilnehmer konkurrieren. Auch bei öffentlichen Förderungen oder Förderprogrammen gibt es nach wie vor zu wenig Abstimmung und Synergien. Statt eines Ökosystems erleben wir ein Ego-System.
Dabei verfügt Berlin bereits über eine riesige und vielfältige Infrastruktur, die Forschung, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft umfasst. Es gibt jedoch wenig Synchronisation, sowohl innerhalb einzelner Bereiche als auch übergreifend. Die zahlreichen Forschungseinrichtungen in der Stadt, von Universitäten bis hin zu Forschungsinstituten, handeln zu wenig abgestimmt. Dies führt zu Überschneidungen und ungenutztem Potenzial.
Es braucht mehr Transparenz. Wie können Menschen, die innovative Technologien entwickeln, entdeckt, gefördert und mit den richtigen Partnern in Kontakt gebracht werden? Hier müssen zentrale Ansätze geschaffen werden, die Transparenz und Zugang schaffen, ohne dabei als zentrale Autorität aufzutreten.
Der Standort Berlin benötigt Organisationen, deren Auftrag die Förderung eines aktiven Ökosystems ist. Diese Organisationen müssen sich auf eine gemeinsame Richtung einigen und Schritt für Schritt eine Art Plattform entwickeln, auf der alle Informationen frei verfügbar sind.
Zum Beispiel: Wo findet man Experten für die Vernetzung von Biologie und Künstlicher Intelligenz? Gibt es gerade ein neues Spin-off-Unternehmen im Bereich Chemietechnik? Wo gibt es freie Labore oder Ausrüstung für ein Biotech-Projekt?
Die Hauptstadt muss aufholen
Andere Metropolen sind bereits weiter in der Entwicklung und erhalten entsprechende politische Unterstützung. Das Netzwerk der UnternehmerTUM in München zum Beispiel ist eines der besonders erfolgreichen Technologie-Ökosysteme in Deutschland mit einer inhaltlichen Klammer und zahlreichen Zugängen und verschiedenen Initiativen. Hamburg bringt alle Initiativen und Akteure aus dem Themenfeld Künstliche Intelligenz unter AIHamburg zusammen und wird dabei von IHK, Mittelstand, Politik und anderen aktiv unterstützt.
Berlin muss sich rasch vom Ego-System zu einem vernetzten, von Zusammenarbeit geprägten Deep-Tech-Ökosystem entwickeln. Programme wie das geplante Sondervermögen für den Klimaschutz könnten als Chance genutzt werden, um Climate Tech aufzubauen, also neuartige Technologien, die zur Senkung der weltweiten Treibhausgas-Emissionen beitragen sollen. Die lokale Forschung kann Wege zu einer klimaresilienten Stadt aufzeigen.
Damit wäre eine inhaltliche Klammer gegeben und ein möglicher Fokus gesetzt. Auf diese Weise kann Berlin Möglichkeiten schaffen, um mithilfe von Technologie die drängenden Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen.